Bahnen bei Behindertengleichstellung weiterhin stark gefordert [aktualisiert]

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 14. Dezember 2022 veröffentlicht.

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Der im Jahr 2018 erneuerte SZU Bahnhof Zürich Triemli. / Quelle: SZU

Gemäss den neusten Daten sind weitere Bahnhöfe behindertengerecht umgebaut worden. Dies kommt inzwischen 73 Prozent der Bahnreisenden zugute. Allerdings bleiben die Bahnen stark gefordert. Mit der immer genaueren Planung zeigt sich, dass die Anzahl Bahnhöfe und Bahn-Haltestellen, die nicht fristgerecht per Ende 2023 umgebaut sein werden, höher ist als erwartet. Dies zeigt der neue Bericht des Bundesamts für Verkehr (BAV) zur Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes durch die Bahnunternehmen.

Bis Ende 2023 müssen die Bahnhöfe und Eisenbahn-Haltestellen der Schweiz baulich an die Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) angepasst werden, soweit dies verhältnismässig möglich ist. Für die Umsetzung sind die Bahnen verantwortlich. Das BAV unterstützt sie dabei finanziell und administrativ.

Wie der neuste Standbericht des BAV zeigt, entsprach Ende 2021 mehr als die Hälfte der Bahnhöfe und Haltestellen den Vorgaben: Inzwischen können 928 der total 1800 Stationen von Personen mit Beeinträchtigungen autonom und spontan benutzt werden. Das sind 20 mehr als im Vorjahr. Weil die Verbesserungen bei den grossen Bahnhöfen prioritär angepackt worden sind, kommt das rund 73 Prozent aller Reisenden zugute.

Gemäss der aktuellen Planung der Bahnen werden bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist per Ende 2023 weitere 166 Bahnhöfe baulich angepasst sein. Damit wird sich der Anteil der betroffenen Passagiere auf 82 Prozent erhöhen.

Fristen nicht überall eingehalten

Der Bericht zeigt gleichzeitig, dass trotz mehrfacher Intervention des BAV bei 541 Bahnhöfen oder Eisenbahn-Haltestellen die Anpassungen erst nach Ablauf der gesetzlichen Frist umgesetzt werden. Diese Zahl hat sich gegenüber dem letzten Standbericht nochmals erhöht. Im Laufe der Verfeinerung der Planung durch die Bahnunternehmen hat sich gezeigt, dass die ursprünglichen Annahmen unrealistisch waren und die Zeitpläne darum korrigiert werden müssen. Fehlende Ressourcen bei Planung und Personal sowie fehlende Zeitfenster für die Bautätigkeit tragen ebenfalls zu den Verzögerungen bei.

Bei 134 der 541 verspäteten Umbauprojekte können die Bauarbeiten zumindest vor Ablauf der Sanierungsfrist begonnen werden. Für die restlichen Projekte hat das BAV bei den Bahnen verbindliche Termin- und Finanzierungspläne eingefordert und erhalten. Damit wird sichergestellt, dass es nicht noch zu weiteren Verzögerungen kommt. 

Das BAV fordert, dass die Unternehmen bis zur Inbetriebnahme der verspätet umgebauten Anlagen Teilinbetriebnahmen umsetzen oder Überbrückungs­mass­nahmen anbieten, zum Beispiel mit Hilfe durch das Personal.

Einfacherer Ein- und Ausstieg für alle

Von der Umsetzung des BehiG an den Bahnhöfen und Eisenbahn-Haltestellen profitieren alle Personen, die den öffentlichen Verkehr nutzen: Das Ein- und Aussteigen wird in jedem Fall bequemer. Für Personen mit temporär oder dauerhaft eingeschränkter Mobilität, Seniorinnen und Senioren, Passagiere und Passagierinnen mit viel Gepäck oder Kinderwagen ist der stufenfreie Perronzugang und der niveaugleiche Einstieg in die Fahrzeuge besonders wichtig. Ziel ist, dass diese Personen den öffentlichen Verkehr selbständig und spontan benützen können.

Dies wird künftig an 91 Prozent aller Bahnhöfe und Bahn-Haltestellen der Fall sein. Bei den restlichen 9 Prozent ist eine bauliche Anpassung unverhältnismässig, weil unter anderem das Passagieraufkommen im Verhältnis zu den Kosten nur sehr klein ist. Hier müssen dauerhaft Ersatzmassnahmen angeboten werden. Im Vordergrund steht die Hilfestellung durch Bahnpersonal.

SBB hat viel für barrierefreien ÖV getan, hat aber noch einiges zu tun
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) verlangt bis Ende 2023 einen barrierefreien ÖV – auf Schiene und Strasse. Die SBB hat viel unternommen, ihre Bahnhöfe, Züge und Kundeninfo hindernisfrei zu machen. In der geforderten Frist zwar nicht möglich, setzt die SBB alles daran, das Ziel baldmöglichst zu erreichen. An allen Bahnhöfen, die ab Ende 2023 noch nicht barrierefrei zugänglich sind, bietet sie Ersatzlösungen an.

Einerseits ist die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes komplexer als anfangs angenommen. Andererseits haben präzisierte Anforderungen an barrierefreie Bahnhöfe dazu geführt, dass die SBB mehr Bahnhöfe umbauen muss als ursprünglich verlangt, anstatt 150 Bahnhöfe über 400. Am 14. Dezember 2022 hat das Bundesamt für Verkehr (BAV) über den aktuellen Stand der BehiG-Umsetzung in den Schweizer Bahnhöfen informiert.

Auf dem Weg, aber noch nicht am Ziel

Bis 2028 wird die SBB über 2,5 Milliarden Franken in die Bahnhöfe investiert und diese baulich angepasst haben. Sie hat schweizweit zahlreiche Perrons erhöht und Rampen oder vereinzelt Lifte eingebaut. Per Ende 2023 hat die SBB 434 von 764 Bahnhöfen umgebaut. Damit können in den Bahnhöfen der SBB ab 2024 drei Viertel aller Kund:innen hindernisfrei und ohne Unterstützung reisen. Bei rund 300 Bahnhöfen erfolgt der Umbau erst nach 2023. Das BAV und die betroffenen Gemeinden wurden darüber informiert, mit den Behindertenverbänden ist die SBB im Austausch. Bei rund 30 Bahnhöfen sind die Investitionen unverhältnismässig, so dass die Anpassungen beim nächsten ordentlichen Substanzerhalt erfolgen.

Das BehiG sieht vor, dass die Mittel der öffentlichen Hand verhältnismässig eingesetzt werden: Deshalb erlaubt das Gesetz an Bahnhöfen, wo der Nutzen einer Anpassung unverhältnismässig hohen Kosten gegenübersteht, auch Ersatzmassnahmen wie zum Beispiel die Hilfestellung durch Personal. An allen Bahnhöfen, die ab Anfang 2024 nicht autonom barrierefrei sind, bietet die SBB vorübergehend solche an. Insbesondere hilft das SBB Call Center Handicap kostenlos, mobilitätseingeschränkten Reisenden Zugreisen zu planen und durchzuführen. 2019 hat das SBB Call Center Handicap 150’398 Ein- und Ausstiegshilfen organisiert und koordiniert. Vor Ort unterstützt das Bahnpersonal beim Ein-/Aussteigen, zum Beispiel mit einer Faltrampe oder einem Mobilift.

Auf den meisten Fernverkehrsstrecken ist wie verlangt mindestens ein Zug pro Stunde und Richtung autonom barrierefrei benutzbar, auf einzelnen Verbindungen bestehen noch Einschränkungen. Im Regionalverkehr sind bereits heute praktisch alle Züge barrierefrei zugänglich. Online hat die SBB sämtliche Vorgaben umgesetzt und auch die Kundeninformation verbessert, ein Beispiel dafür ist die App für sehbehinderte Menschen, die SBB Inclusive App.
Das Schweizer Schienennetz ist eine Baustelle
Auf 7000 Gleiskilometern der SBB sind Tag und Nacht Unterhaltsarbeiten im Gang, parallel laufen kleine und grosse Instandhaltungs- und Ausbauprojekte. 2023 und in den Folgejahren nimmt das Bauvolumen nochmals zu. Die SBB baut keine Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese, sie baut unter laufendem Bahnbetrieb. Die Züge verkehren, die Fahrleitungen stehen unter Strom. Gleissperren und Fahrleitungsausschaltungen müssen zwischen den Baustellen abgestimmt und koordiniert werden, damit sich die Sperren nicht kumulieren und Fahrplan und Pünktlichkeit zu stark beeinträchtigen. Aufgrund der grossen Anzahl an Baustellen ist dies eine Herausforderung.

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4 Kommentare

  1. Es ist einfach jemand zu kritisieren als jemand zu Loben, Ich finde die öffentlichen Transportmittel machen viel, dass behinderte Reisen können.

  2. Als Veloselbstverlader mit einem schweren Velo ist die Liste der barrierefrei zugänglichen Bahnhöfe auch für mich für das Planen von Velotouren wichtig. Ich habe mir die Liste heruntergeladen und bin entsetzt, wie lange es zum Teil auch bei Bahnhöfen mit ansehentlichem Passagieraufkommen noch dauern soll, bis sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Besonders düster sieht es auf der Strecke Olten-Solothurn aus. Deshalb benutze ich bei unsicherem Wetter immer eine Route entlang dem Bipperlisi, das seine Hausaufgaben weitgehend erledigt hat. Ein Ärgernis sind auch die ICN mit ihren «Klettertrainings-Einstiegen», die ich meiden muss.

  3. Im Prinzip Ja! Trotz der noch zu zahlreichen Mängel und vieler Verbesserungsmöglichkeiten sind die Zustände bei uns im Vergleich zu den ÖV-Entwicklungsländer Deutschland und Frankreich geradezu paradiesisch, auch was den Selbstverlad von Velos angeht.

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