SBB fordert rasche Erhöhung der Sicherheit im Güterverkehr

Die SBB ist nach den Ausführungen im SUST-Schlussbericht zur Entgleisung im Gotthard-Basistunnel besorgt über das Unfallrisiko im Güterverkehr: Es ist zu hoch. Die SBB unterstützt die SUST-Empfehlungen und fordert eine rasche Umsetzung. Bis griffige behördliche Massnahmen zu Modernisierung und Unterhalt erlassen sind, wird die SBB schrittweise aus dem Transport von Güterwagen mit so genannten LL-Bremssohlen aussteigen. Der Grossteil des Ausstiegs wird bis Ende 2025 erfolgen. Zudem wird die SBB die Güterwagen intensiver kontrollieren, um sichtbare Mängel zu erkennen.

Der Abschlussbericht der SUST (Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle) bestätigt, dass ein Radscheibenbruch mit einem von LL-Bremssohlen [siehe Box unten] gebremsten Rad die Unfallsursache war. Diese Güterwagen gehören international tätigen Wagenhaltern, und die SBB und andere Eisenbahnverkehrsunternehmen befördern sie innerhalb der Schweiz und Europa. Die SBB hat jedoch keinen Einfluss auf Bauweise und Instandhaltung, trägt aber das Risiko und die finanziellen Folgen von Entgleisungen.

SBB ist besorgt: Das Unfallrisiko ist derzeit zu hoch

Die Häufung von Ereignissen in Europa zeigt, dass das Unfallrisiko zugenommen hat. LL-Bremssohlen führen zu höheren thermischen Belastungen von Rädern als die früheren Graugussbremssohlen. Trotzdem werden gemäss SUST-Bericht nach wie vor die gleichen Wartungsmethoden angewandt. Thermische Belastungen können zu Spannungen und Rissen führen, die allenfalls Radbrüche mit potentiell verheerenden Auswirkungen verursachen.

Es braucht deswegen so rasch wie möglich griffige Massnahmen. Die SBB unterstützt die Sicherheitsempfehlungen der SUST und fordert die zuständigen Behörden in der Schweiz (BAV, Bundesamt für Verkehr) und vor allem in Europa (ERA, Eisenbahnagentur der europäischen Union) zum raschen Handeln auf. Ansonsten muss aus Sicht der SBB der Einsatz von Güterwagen mit LL-Bremssohlen in der Schweiz und in Europa eingeschränkt oder gar verboten werden.

SBB steigt aus Transport von Wagen mit LL-Bremssohlen aus

Die SBB wird im Güterverkehr schrittweise und so schnell wie möglich aus dem Transport von Wagen mit LL-Bremssohlen aussteigen, bis griffigere behördliche Massnahmen zur Modernisierung und Verbesserung des Unterhalts erlassen wurden. Der Grossteil des Ausstiegs wird bis Ende Jahr und in enger Absprache mit den Kunden erfolgen, um deren Logistikabläufe so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Die SBB möchte diese Verkehre weiterhin führen, jedoch mit sicheren Wagen. Im Eigentum des SBB Güterverkehrs befinden sich keine Wagen mit LL-Bremssohlen. Im Übrigen wird die SBB Güterwagen intensiver kontrollieren, um sichtbare Mängel zu erkennen. Haarrisse in Rädern durch thermische Überbelastung sind visuell allerdings nicht auszumachen, sondern nur in Instandhaltungswerken.

Gespräch mit BAV und Branche: Sicherheit nachhaltig erhöhen

Die SBB steht zur Verfügung für das Gespräch mit dem BAV und der Güterverkehrsbranche. Das Ziel ist es, die Sicherheit im Güterverkehr nachhaltig zu erhöhen. Entsprechende Vorstösse sind im eidgenössischen Parlament hängig. Eine angemessene Haftungsbeteiligung der Wagenhalter würde die Sicherheit im Bahnsystem ebenfalls erhöhen: Sie hätten ein Interesse, mehr als nur das Notwendige in Überwachung, Instandhaltung und Modernisierung der Wagen zu investieren.

SBB hat bereits Massnahmen ergriffen

Wie bereits vor Erscheinen des SUST-Abschlussberichts kommuniziert, unternimmt die SBB alles, um die Sicherheit auf der Bahninfrastruktur zu gewährleisten. Sie betreibt dafür ein dichtes Sicherheits-Überwachungsnetz und hat bereits Massnahmen im Zusammenhang mit der SUST-Empfehlung zu den Weichen umgesetzt: Sie hat die Geschwindigkeit bei den Portalbereichen des Gotthard-Basistunnels auf 160 km/h reduziert. Die SBB plant zudem, bei den Spurwechseln vor und im Gotthard-Basistunnel Entgleisungsdetektoren zu installieren. Aktuell wird der Prototyp erstellt.

Der Sicherheitshinweis an SBB Cargo bezüglich Nachweisführung der technischen Kontrolle der Züge wird umgesetzt. Auch hat die SBB hohe Sicherheitsanforderungen an ihre eigenen Wagen.

Unterschiedliche Klotzbremsen im Güterverkehr
Im Güterverkehr kommen verschiedene Bremssohlen zum Einsatz. Graugussbremssohlen (GG-Bremssohlen) sind auf dem Schweizer Schienennetz aus Lärmschutzgründen seit 2020 untersagt. Heute werden entweder Low-noise-low-friction-Bremssohlen (LL-Bremssohlen) oder Kompositbremssohlen (K-Bremssohlen) eingesetzt. Die LL-Bremssohlen sind in Europa am weitesten verbreitet. Allerdings sind zahlreiche Vorfälle bekannt, bei denen LL-Bremssohlen zu Überhitzungen der Radscheiben sowie Eisbildung geführt haben, was die Radscheiben beschädigen kann.

Die SBB hat im Güterverkehr keine Wagen mit LL-Bremssohlen im Eigentum. Sie setzt seit Langem auf K-Bremssohlen.
SEV: Mehr Sicherheit dank mehr Personal
Ein Bericht in der SRF-Sendung Rundschau vom 26. Februar hatte gezeigt, dass Schäden an Wagenrädern von Güterzügen häufig vorkommen und ein massives Sicherheitsrisiko darstellen. Der heute erschienene Schlussbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) bestätigt dies. Ein grosser Unfall, wie im Gotthard-Basistunnel am 10. August 2023, könnte jederzeit wieder passieren. Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV fordert, dass mehr Personal für bessere Kontrollen und mehr Sicherheit eingesetzt wird.

Die Eisenbahn ist eines der sichersten Verkehrsmittel. Hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nicht. Dies zeigte der Unfall im Gotthard-Basistunnel am 10. August 2023, als ein Güterzugwagen entgleiste, massiven Schaden anrichtete und die Verkehrskapazität auf der wichtigen Nord-Süd für mehr als ein Jahr einschränkte. Der SUST-Schlussbericht führt die Ursache für die Entgleisung auf ein gebrochenes Wagenrad zurück. Umfangreiche Untersuchungen an diesem sowie an den anderen Rädern des unfallverursachenden Wagens haben gezeigt, dass sich Risse und Sprünge, die durch die Überhitzung beim Bremsen verursacht wurden, im Laufe der Zeit in den Radkörper ausgebreitet und seine Integrität untergraben haben.

Die SUST hat die Aufgabe, die Ursachen von Unfällen zu ermitteln, und kann auf dieser Grundlage Empfehlungen aussprechen. Diejenigen, die sich aus diesem Unfall ergeben, fordern einen Paradigmenwechsel bei der Instandhaltung von Güterwagen: Diese soll häufiger und intensiver als heute praktiziert werden. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) ist für den Erlass von Vorschriften zum Schutz der Sicherheit im Bahnbetrieb zuständig. Das BAV teilte jedoch mit, dass die Sicherheitsvorschriften notwendigerweise auf europäischer Ebene koordiniert und beschlossen werden, da die Vorschriften im Schienengüterverkehr auf kontinentaler Ebene eng miteinander verbunden sind. Ansonsten ist die Dynamik in dieser Hinsicht komplex und daher nicht unbedingt schnell.

Akustische Klangkontrollen an den Radscheiben

Die Gewerkschaft SEV fordert eine konkrete und schnell umsetzbare Lösung: Die systematische Einführung von akustischen Klangkontrollen an den Radscheiben von Radsätzen (Achsen), die nicht als thermisch stark belastbar gekennzeichnet sind. Die Kontrollen sollen durch technische Inspektoren (z.B. vom TKC von SBB Cargo) an allen in das Schweizer Netz einfahrenden Güterzügen an Wagentypen mit nicht thermisch stark belastbaren Radsätzen durchgeführt werden. Derzeit werden akustische Kontrollen nur selten und in jedem Fall nur bei Wagen durchgeführt, bei denen derartige Probleme an den Radsätzen bekannt sind.

Eine systematische Kontrolle aller Wagen von aus dem Ausland ankommenden Güterzügen in den Grenzbahnhöfen ist ein Beitrag zur weiteren Erhöhung der Sicherheit auf dem Schweizer Schienennetz, der rasch Wirkung zeigt. Dafür muss Personal eingestellt und entsprechend ausgebildet werden.

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