Fairtiq Forum 2023: Rückblick auf Online-Konferenz zum Thema «Vertrieb und Ticketing in Europa»

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Die RhB Ge 4/4 II 615 «Fairtiq» in Spur H0m von Bemo. / Quelle: Bemo

«Immer das Gleiche! Oder doch immer anders?» Wie sich Vertrieb und Ticketing im öffentlichen Verkehr in verschiedenen Regionen Europas entwickeln, war Thema des Fairtiq Forums 2023. Die Online-Konferenz am 14. September brachte führende Expert:innen der Transportbranche zusammen, um Ansätze und Trends in der sich ständig ändernden Vertriebslandschaft im öffentlichen Verkehr zu diskutieren.

Das Check-in/Check-out-Ticketing im öffentlichen Verkehr etabliert sich in vielen Regionen und Ländern Europas als neuer und dynamisch wachsender Vertriebskanal – mit steigenden Nutzungszahlen. Über 120 Millionen ÖV-Fahrten wurden über die App-basierten Ticketing-Lösungen von Fairtiq bereits abgewickelt, berichtete Gian-Mattia Schucan, Gründer und Co-CEO des Technologieunternehmens, zu Beginn des diesjährigen Fairtiq Forums. Die Konferenz beleuchtete aber auch andere Ansätze wie Flatrate-Tickets und Mobilitätsmanagement in Unternehmen. Die Transformation zu nachhaltiger Mobilität gelingt, wenn das Reisen im öffentlichen Verkehr «radikal einfach» wird. Darin waren sich Referenten, Panelisten und Teilnehmende des Forums einig. Auf der Online-Konferenz diskutierten Vertreter:innen von ÖV-Unternehmen und Verkehrsverbünden aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein, Frankreich und weiteren europäischen Ländern über die vielfältigen Ansätze und Technologien, die den Vertrieb und das Ticketing im europäischen öffentlichen Verkehr vereinfachen.

«Digitale technologische Innovationen für nachhaltige und vernetzte Mobilität sind der Schlüssel zur Verkehrswende»

, sagte Keynote-Speakerin Olga Nevska zum Auftakt der Konferenz.

Die Geschäftsführerin der Telekom Mobility Solutions teilte ihre Erfahrungen mit dem Umbau einer der grössten deutschen Unternehmensflotten zu einem innovativen Mobilitätsprovider. Bedarfsorientierte und gemeinsam genutzte Mobilitätsangebote hätten nur dann einen hohen gesellschaftlichen Impact, wenn sie einfach zugänglich und bezahlbar sind sowie einen sicheren Umgang mit Daten gewährleisten. Dafür müssten Verkehrsanbieter Mobilität als ganzheitliches Ökosystem begreifen, mit dem öffentlichen Verkehr als entscheidendem Partner.

«Niemand kann das allein»

, erklärte die Expertin.

Bestes Mittel, um mehr Fahrgäste für den öffentlichen Verkehr zu gewinnen und den ÖV-Anteil am Modalsplit zu steigern, sei radikale Einfachheit, sagte der zweite Keynote-Speaker Andreas Fuhrer von der Alliance Swiss Pass. Die ÖV-Branchenorganisation der Schweiz entwickelt und testet derzeit im Projekt myRIDE neue Ticket- und Bepreisungsformen. Mit dem Post-Pricing-Ansatz werden nur die effektiv gefahrenen Strecken verrechnet. So besteht die Möglichkeit, die Fahrtkosten basierend auf dem Nutzungsverhalten zu optimieren oder beispielsweise zu deckeln.

«Damit ersetzen wir nichts, sondern schaffen eine neue, digitale, kundenorientierte und hürdenlos zugängliche Alternative zu bestehenden klassischen Angeboten»

, stellte der Projektmanager klar.  

Wie man mit flexiblen Tarifen den öffentlichen Verkehr attraktiver gestalten kann, zeigte ein Beispiel aus der französischen Region Okzitanien. Nach dem Prinzip eines Treueprogramms – viel Nutzung führt zu günstigeren bzw. kostenfreien Fahrten – entwickelte der Verkehrsanbieter zunächst ein Tarifmodell speziell für junge Erwachsene.

«Wir haben dieses Angebot inzwischen erfolgreich für weitere Altersgruppen weiterentwickelt»

, sagte Valérie Ossant, Mitarbeiterin Vertrieb von liO Train der Region Okzitanien.

«Wir konnten damit 75.000 Neukunden gewinnen und 1,8 Millionen mehr Fahrten erzielen»

, berichtete Daniel Aubaret, Leiter des Marketings bei SNCF Voyageurs Occitanie. 

Welche Potenziale günstige Flatrate-Modelle bieten, wurde am Beispiel des Klimatickets in Österreich diskutiert. Mit bis zu 10.000 Neukunden im Monat und über 90 Prozent Verlängerungen um ein weiteres Jahr werde das Angebot gut angenommen, berichtete Jakob Lambert, Geschäftsführer von One Mobility. Ein wichtiger Effekt sei die hohe Integrationswirkung, die solche Modelle auf die ÖV-Branche insgesamt haben. Das zeige auch das Beispiel Schweiz wie auch das Deutschlandticket.

«Man muss sich zusammenraufen»

, so Lambert.

Ob sich solche Lösungen langfristig etablieren können, sei letztlich eine Frage der politischen Weichenstellungen, sagte Gian-Mattia Schucan, Gründer und Co-CEO von Fairtiq. Flatrates könnten kurzfristig sehr viel bewegen.

«Langfristig aber braucht es Kreativität, neue Ideen einfach mal auszuprobieren und zu testen, um brachliegendes Kundenpotenzial zu erschliessen, aber auch die Finanzierungsbasis des öffentlichen Verkehrs nachhaltig zu sichern.»

Check-in/Check-Out-Lösungen könnten in einer Tariflandschaft zwischen einem Flatrate-Angebot für Vielfahrer und Spartickets für Gelegenheitskunden für anhaltende Zugewinne des ÖV am Modal Split sorgen.

Weitere Themen der Online-Konferenz waren das Datenmonitoring, die Qualitätskontrolle und die Missbrauchsvorbeugung bei der automatischen Reiseerfassung. Susanne Hirschi und Bruno Lehmann von Alliance Swiss Pass stellten Ansätze etwa zur korrekten Datenerfassung und Preisberechnung vor.

«Hier funktioniert die Fairtiq-Technologie schon sehr gut»

, so Lehmann.

Gearbeitet werde auch an der Verteilung der über das automatische Ticketing generierten Umsätze. Ein Ansatz dafür sei die Ausrüstung von Bussen und Bahnen mit Beacons zur fahrzeuggenauen Erfassung von Strecken, um Reisen dem jeweiligen Verkehrsunternehmen zuzuordnen – etwa, wenn zwei verschiedene Anbieter auf derselben Strecke fahren. Welche Entwicklungsmöglichkeiten für nachhaltige Mobilität B2B-Partnerschaften bringen, zeigte Nico Misselwitz, Leiter FM&RE (Liegenschaftsverwaltung und Immobilien) – Digital Customer Experience & Mobility beim Schweizer Pharmaunternehmen Roche auf.

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